2.9.1. Auflagen und Konflikte
Ende März 1937 teilte Alwin Seifert, Architekt und „Dozent für Gartengestaltung an der Technischen Hochschule in München“, der Obersten Bauleitung der Reichsautobahn mit, in seiner Funktion als Landschaftsanwalt die geplante Trasse begutachtet zu haben. Er hebt deren attraktive Lage hervor und betont die „eindringliche Erschließung des Donautals auf dem Teilstück Regensburg – Wörth – Bogen – Metten – Hengersberg, die sehr abwechslungsreich wird dadurch, daß eine ganze Reihe unmittelbar an der Donau gelegener Höhenzüge nördlich umfahren werden muß“ (60).
Schon im Januar 1938 wurde den 15 im Landkreis betroffenen Gemeinden mitgeteilt, dass innerhalb eines zu beiden Seiten der Trasse 100 Meter breiten Schutzstreifens die Errichtung von Gebäuden aus gestalterischen Gründen einer Genehmigung bedarf (61). Im April 1940 wurde die Zone auf 200 Meter erweitert (62). Ende November dieses Jahres erließ der „Regierungspräsident in Regensburg“ in seiner Funktion „als höhere Naturschutzbehörde“ entsprechende Bestimmungen, welche die RAB 87 und die „Bayerische Ostmarkstraße“ (B 85) betrafen: Grundsätzlich war es verboten, ohne Zustimmung der Behörden innerhalb des oben genannten Schutzstreifens „Änderungen vorzunehmen, die geeignet sind, die Natur zu schädigen, den Naturgenuß zu beeinträchtigen oder das Landschaftsbild zu verunstalten“. „So war es nicht gestattet, Gehölze, Bäume und Hecken, Tümpel und Seen oder sonstige für das Landschaftsbild wichtige Landschaftsbestandteile wie Felsen, Findlinge usw. zu verändern, zu beschädigen oder zu beseitigen“. Dies gilt auch für die Errichtung von „Bauwerke[n] aller Art, das Spannen von Drahtleitungen sowie das Anbringen von Inschriften“ (63).
Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist auch eine Mitteilung der Obersten Bauleitung an das Bezirksamt Deggendorf vom August 1938 über folgende Maßnahme, die im Zuge der „Absteckungsarbeiten“ erfolgte: „Ferner ersuchen wir[,] die durch den Bau der Reichsautobahn betroffenen Waldbesitzer in geeigneter Weise davon in Kenntnis setzen zu lassen, daß Bäume[,] die zur Verschönerung des Landschaftsbildes oder aus ähnlichen Gründen stehen bleiben sollen, mit einem Ring in roter Farbe versehen werden, und daß diese Bäume nicht umgeschlagen werden dürfen“ (64).


Im September 1939 betonte die Bauabteilung Passau in einem Schreiben an die OBR München, dass die Unterführungen bei Scheuering – Dippling, Filling – Klotzing und Haslach „nicht von größeren Verkehrswegen eingesehen werden [können], da sie alle drei sehr versteckt liegen“. Daher sowie aufgrund von Lieferengpässen stellte man den Antrag, „auf das Verkleidmauerwerk [der Widerlager] zu verzichten“ (65). Die Oberste Bauleitung ließ sich davon nicht überzeugen und beharrte – von Auflagen bezüglich der Färbung der Steine abgesehen – auf ihren gestalterischen Ansprüchen: „Ein Verzicht auf die Vormauerung der genannten Unterführungen ist mit Rücksicht auf Einheitlichkeit der Streckenausgestaltung nicht möglich. […] Gegebenenfalls kann auf die bunte Farbenmischung verzichtet werden“ (66). Auch nahm man aus ästhetischen Gründen bei der Verkleidung der Feldwegunterführungen einen aufwendigen Bauunterhalt in Kauf: „Die breiten Fugen werden in der hiesigen Gegend […] jedes Jahr mit Weißkalk geweißt, eine schöne Beschäftigung für den späteren Straßenmeister“ (67).
Auf Sabotage, die auf einen gewissen Unmut in Teilen der Bevölkerung schließen lässt, reagierte der Vorstand der Bauabteilung Passau im Mai 1939 mit einem Schreiben an das Landratsamt. Es geht um zur Markierung der Trasse angebrachte Pflöcke: „Ich musste beobachten, daß solche Punkte von den Grundeigentümern zerstört oder beschädigt wurden“ (68). Nach der Einstellung der Arbeiten wurde im April 1940 nochmals Folgendes betont: „Auf vorsätzliche oder fahrlässige Beschädigungen derselben stehen Geld- und Gefängnisstrafen“ (69).
2.9.2. Durch Baumaßnahmen verursachte Schäden
Im März 1938 reichte Ortsbauernführer Weinberger bei der Obersten Bauleitung eine „Beschwerde wegen den Bodenuntersuchungslöchern“ ein, die bereits im Herbst des Jahres 1937 bei Klessing entstanden seien: „diese sind jetzt bei der kommenden Feldarbeit für die [A]ngrenzenden von große[m] [N]achteil. Es ist sogar ein Loch auf der Zufahrt zu mehreren Äckern, während eine andere Zufahrt sehr schwierig zu machen ist“ (70). Auch wurde im Mai 1940 offiziell bestätigt, dass in dem am Fuß des Schützinger Berges gelegenen Wald von Josef und Anna Muckenthaler (Pumpenberg) „eine augenfällige Beschädigung der oberhalb und unterhalb [an die Trasse] angrenzenden Waldteile durch die mit der Herstellung des Straßenkörpers verbundenen Arbeiten entstanden ist. Baumwurzeln sind abgegraben, Bäume durch die Steinspre[n]gung so stark beschädigt, daß sie eingehen werden, der ganze angrenzende Waldboden mit größeren und kleineren Steinen bedeckt usw.“ (71). Die Beschädigungen sind darauf zurückzuführen, dass sich in diesem Trassenabschnitt der Bodenabtrag aufgrund der Durchsetzung mit Granit – von Max Streicher im Nachhinein als „verkeilt und unregelmäßig“ beschrieben – nur schwer bewerkstelligen ließ: „Obwohl die Sprengarbeiten ein älterer erfahrener Sprengmeister mit brisantem Sprengstoff (Monachit 2) und elektrischen Brückenzündern bei gleichzeitiger Zündung mehrerer Schüsse (40-50) ausgeführt hat, war der Erfolg der Schießleistung immer sehr gering“ (72).

2.9.3. Die Versorgung mit Arbeitskräften und Material
Im Rahmen der Einrichtung der Baustelle erwies sich Ende 1938 die Lieferung von Holz unter anderem für die Errichtung von Baracken als schwierig (73). Im März 1939 beklagte sich die Oberste Bauleitung bei „2 Deggendorfer Kiesbaggereien“ darüber, dass diese „die für die z. Zt. in Bau befindlichen wenigen Bauwerke des Loses 135 erforderlichen Kiesmengen nicht laufend […] beibringen könnten. Wir machen darauf aufmerksam, daß binnen Jahresfrist voraussichtlich das 10-fache an Kunstbauten zwischen Metten und Iggensbach in Bau sein werden. Wir würden es gerne sehen, wenn die ansässigen Kiesgewinnungsunternehmen in der Lage sein würden, die Kunstbauunternehmen zu beliefern“ (74). Entsprechende Probleme gehen auch aus folgendem Zitat vom September 1939 hervor: „Die Beschaffung der Verkleidmauersteine für die im Bau befindlichen Unterführungen des Loses 135 stößt immer mehr auf Schwierigkeiten. Der zeitgemäß bedingte Mangel an Steinmetzen und Maurer[n] ist derart, daß mit der Herstellung des Mauerwerks in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist“ (75). Max Streicher beklagt im Rückblick ebenfalls massive Schwierigkeiten bei der Versorgung mit geeigneten Arbeitern: „Die Baustelle wurde im Herbst 1938 vollständig für den 2 Schichtenbetrieb eingerichtet […]. Aber schon bei Beginn der Bauarbeiten wurden mir nicht genügend Arbeitskräfte zugewiesen, sodaß durchwegs höchstens nur mit 1/3 der vorgesehenen Belegschaft weitergearbeitet werden konnte. Im Jahre 1939 wurden von der Baustelle Los 135 immer wieder die besten Arbeiter vom Arbeitsamt herausgesucht und ich musste diese eingearbeiteten guten Arbeitskräfte, die ich den ganzen Winter 38/39 durchgehalten habe, im Frühjahr und im Laufe des Sommers 1939 auf Wunsch der OBR für andere Baustellen abstellen. Als Ersatz wurden mir alte, gebrechliche Leute und Invaliden mit viel geringerer Arbeitsleistung zugeteilt“. Ein weiteres Problem für Max Streicher war die Steigerung der Preise für „Donaukies“ und „Dieselkraftstoff“ (76).

2.9.4. Enteignungen
Bei den bereits genannten Grunderwerbsverhandlungen übte man Druck auf bestimmte Eigentümer aus, indem ihnen schriftlich mit der Einlieferung in ein Konzentrationslager gedroht wurde. (77) In Bezug auf Fälle, in denen dennoch keine Einigung erzielt werden konnte, machte das bayerische Innenministerium dem „Regierungspräsident[en] in Regensburg im März 1939“ folgende Mitteilung, von der die betroffenen Landratsämter in Kenntnis gesetzt wurden: „Der Führer und Reichskanzler hat […] die Enteignung von Geländeflächen, die [unter anderem] für den Bau der [Teilstrecke] Regensburg-Schardenberg von km 95,5 bis km 237,7 der Reichsautobahn Nürnberg-Linz erforderlich sind, für zulässig erklärt“ (78).




In den Akten des Landratsamtes Deggendorf finden sich „Unterlagen zu Enteignungsverfahren gegen fünf Grundbesitzer“. In drei Fällen konnte man sich über den Verkauf der Grundstücke einigen (79). Als Beispiel sei folgender Vorgang genannt: Anfang Oktober 1940 wurde dem Landratsamt von den RAB-Behörden mitgeteilt, dass Josef und Maria Röhrl aus Klessing sich weigerten, zwei auf Schauflinger Gebiet gelegene Flächen – östlich der Ortschaft 0,042 ha zur Anlage eines Weges und südöstlich der dortigen Unterführung 0,570 ha im Bereich der Trasse – an die Autobahnbehörden zu veräußern. Auf der Grundlage einer Expertise des Sachverständigen Heinrich Groh hatte man ihnen sechs RM pro Dezimale (1 Hundertstel Tagwerk, ca. 34 qm) sowie „eine Pauschalentschädigung von 400,– RM für Verunstaltung der Restfläche [des größeren Grundstücks] und erhebliche Beanspruchung von Kleinbesitz“ angeboten.
Eine entsprechende Kaufvereinbarung hat Röhrl zurückgezogen, obwohl ihm in Aussicht gestellt worden war, dass er „nach Beendigung [der] Bauarbeiten von den verbleibenden Restgrundstücken eine entsprechende Fläche zu einem angemessenen Preis von [der RAB] erwerben kann“. Daher wurde von den Autobahnbehörden Anfang Oktober die Zwangsenteignung beantragt (80). Noch im selben Monat jedoch akzeptierte das Ehepaar Röhrl das oben genannte Angebot nach „eingehender Unterrichtung durch Bürgermeister Vinzenz Zellner“ und äußerte die Hoffnung, dass ihm „bei der Restgrundverteilung entsprechende Unterstützung zuteil wird“. Dies sei die Voraussetzung dafür, dass „das Anwesen auf der Grundlage von 2 Kühen erhalten bleibt, da ein Anwesen unter 2 Kühe unwirtschaftlich ist“ (81). Nachdem Anfang November die Beurkundung stattgefunden hatte (82), verzichtete die RAB auf eine Enteignung (83).


In zwei anderen Fällen wurde ein Enteignungsverfahren eingeleitet. Ein entsprechender Vorgang betrifft drei auf Seebacher Gebiet gelegene Teilflächen im Eigentum von Josef und Anna Muckenthaler (Pumpenberg) – zwei südlich der Klessinger Unterführung und eine unmittelbar südwestlich der nicht gebauten Unterführung Schützing-Pumpenberg. Auf im Juli 1939 begonnene, langwierige Preisverhandlungen folgte im August 1940 die Aufnahme eines komplizierten Enteignungsverfahrens (84), das jedoch nicht abgeschlossen werden konnte, wie aus folgendem Vermerk des Landratsamts vom 15. Mai 1945 hervorgeht: „Mit Rücksicht auf die Ereignisse der letzten Zeit undurchführbar“ (85).

2.10. Die Einstellung der Arbeiten
Eine Schilderung von Max Streicher beschreibt die Situation zu Beginn des Krieges: „Wegen Treibstoff- und Arbeitermangel mußte ich im August 1939 […] den Nachtschichtenbetrieb einstellen und im September den Tagschichtenbetrieb noch weiter einschränken“ (86). Dass sich die eben genannten Schwierigkeiten im April 1940 zugespitzt haben, geht aus folgender Mitteilung der Bauabteilung Straubing an die Oberste Bauleitung hervor: „Die Firma Streicher muß ihren Betrieb wegen Treibstoffmangel zum größten Teil einstellen. Das Arbeitsamt Deggendorf kann der Firma Streicher ca[.] 200 Mann zur Verfügung stellen[,] die nicht verpflichtungsfähig sind. Mit dieser Belegschaft könnte die Strecke bei Klessing (Felseinschnitt) im Handschacht weitergeführt werden. Zu diesem Betrieb sind nur 2-3 Loks und einige Lor[en]wagen nötig, da die Transportweite gering ist“ (87). Mitte April sprachen RAB-Vertreter beim „Arbeitsamt Deggendorf“ wegen der „Arbeitergestellung für das Baujahr 1940“ vor: Man war sich dessen bewusst, dass der oben genannte Einsatz „katastrophale wirtschaftliche Folgen für die betreffenden Gütler nach sich ziehen würde. Das Arbeitsamt Deggendorf halte deshalb eine zwangsweise Abordnung der wiederholt auf Verpflichtungsfähigkeit gesiebten restlichen Arbeiter für äusserst unwahrscheinlich“. Zu dieser Zeit waren „im Los 135 etwa 120 Mann mit Dammsicherungsarbeiten beschäftigt“ (88). Wie bereits erwähnt, waren Baufirmen während des Krieges gezwungen, Arbeiter und Maschinen für kriegswichtige Baumaßnahmen zur Verfügung zu stellen. Ende April 1940 wurde die Firma Streicher über die Beschlagnahmung von Material durch die Wehrmacht informiert: „Im Einvernehmen mit dem Generalinspektor für die Regelung der Bauwirtschaft werden bei Ihnen auf Grund des Reichsleistungsgesetztes nachstehend bezeichnete Gegenstände beschlagnahmt und für unmittelbare Wehrmachtszwecke vom stellvertretenden Generalkommando XIII A.K. in Anspruch genommen“. Bei dem Material, das zuletzt auf der RAB- Baustelle bei Deggendorf eingesetzt war, handelt es sich um 21 Dieselloks, insgesamt 132 Wagen, 5000 Meter Schienen sowie 30 Weichen (89).

Im Mai 1940 erhielten die am RAB-Bau bei Deggendorf beteiligten Firmen jeweils folgendes Schreiben: „Die Ihnen […] übertragenen Arbeiten […], die bisher, wenn auch unter manchen Einschränkungen und Schwierigkeiten, aufrecht erhalten wurden, sind nicht in die Liste der kriegswichtigen Bauten aufgenommen und werden deshalb durch den Abzug von Arbeitern, Betriebs- und Baustoffen und Baugeräten zum Erliegen kommen. Mit dem völligen Abzug der Arbeitskräfte ist in kürzester Zeit zu rechnen. Damit tritt der […] Fall einer voraussichtlich längerdauernden Unterbrechung der Leistung ein, ohne dass die Leistung dauernd unmöglich würde. Auf Grund der angezogenen Bestimmung sind die ausgeführten Leistungen nach den Vertragspreisen abzurechnen. Irgendwelche weiteren Ansprüche stehen Ihnen nicht zu“ (90). Als klar war, dass der RAB-Bau zunächst nicht fortgesetzt werden kann, wurden von der RAB erworbene landwirtschaftliche Flächen, zum Teil auch Gebäude 1940 an die ehemaligen Eigentümer verpachtet beziehungsweise vermietet. Dies gilt zum Beispiel für acht Tagwerk Grund auf der Trasse zwischen Haslach und Klessing und ein Wohnhaus, das dem Bau der Anschlussstelle Haslach zum Opfer gefallen wäre. Beide Immobilien hatte die Familie Fischl (Klessing) 1940 an die RAB verkauft (91). Im September 1942 wurde der von der Straße östlich von Klessing abzweigende Weg, der die dortige Unterführung durchqueren sollte, an die Gemeinde Schaufling übergeben (92). Nachdem die „Bauabteilung Straubing“ im Februar 1943 aufgelöst worden war (93), wurde Max Streicher im September 1944 aufgrund der angedachten „Lösung des Vertrages für beide Teile aufgefordert, seine Schlussabrechnung [für das Erdbaulos und einige Gewerke] raschestens bei der Bauabteilung Regensburg einzureichen. […] Bei Wiederaufnahme der Bauarbeiten werden wir Sie zur Angebotsabgabe einladen“ (94).

Wir bedanken uns herzlich bei der Gemeinde Schaufling für die Erlaubnis der Veröffentlichung und beim Verlag Ebner (Deggendorf) für die Zurverfügungstellung der Datei. Die Rechte am Text liegen bei Florian Jung. Die Rechte an den Abbildungen sind in den Bildunterschriften enthalten, oder liegen bei Mitgliedern der AGAB.
