R 1 / DK 22   Die Weichselbrücke bei Dirschau (Tczew)

von | 15 Juli,2025 | Treffen&Strecken

Die Dirschauer Brücken Anfang der 1990er Jahre – im Vordergrund die kombinierte Straßen- und Eisenbahnbrücke von 1857

Das im historischen Westpreußen gelegene Dirschau (polnisch Tczew) war einst ein wichtiger Wirtschaftsstandort. Daher wurde an der Weichselquerung im Zuge der Eisenbahnverbindung von Berlin nach Königsberg schon früh unter Leitung des Bauingenieurs Carl Lentze eine Gitterträgerbrücke errichtet und 1857 für den kombinierten Straßen- und Eisenbahnverkehr freigegeben. Mit einer Länge von 785,40 Metern war sie damals eine der längsten und bedeutendsten Brücken Europas.1888 bis 1891 entstand für die jetzt zweigleisig zu überführende Eisenbahn ein zweites Bauwerk neben der bestehenden Brücke. Das Erstbauwerk wurde fortan nur noch für den Straßenverkehr genutzt.
Als Folge des Ersten Weltkriegs fiel Dirschau 1920 an Polen. Mit Beginn des zweiten Weltkriegs wurden diese beiden Brücken nach einem mißglückten deutschen Kommandounternehmen durch polnische Pioniere gesprengt. Aufgrund der Wichtigkeit für den  Verkehr begannen deutsche Truppen sofort mit der Wiederherstellung der Eisenbahnbrücke. (Wegen der baulichen und historischen Bedeutung dieser beiden Bauwerke, werden diese in der Regel mit dem Begriff „Weichselbrücke bei Dirschau“ in Verbindung gebracht)

Die Dirschauer Brücken Anfang September 1939

Die Brücke von 1857 wurde 1939 nicht instandgesetzt, sondern durch einen weiter südlich liegenden Neubau für den Straßenverkehr ersetzt. In diesem Zuge wurde auch die damalige Reichsstraße 1 als Umfahrung aus dem Ort Dirschau heraus verlegt und an einigen Stellen niveaukreuzungsfrei vom nachrangigen Straßennetz getrennt. Die fehlende Felder der Gitterträgerbrücke wurde erst in den Nachkriegsjahren zu einer befahrbaren Brücke ergänzt.

Die ehemalige Reichsstraße 1 war nach 1945 zuerst die T83 und ist heute die DK 22 – Autokarte, Państwowe PrzedsiębiorstWowydawnictw Kartograficznych, Warszawa 1974
So sollte sich die Brücke dem von Westen kommenden Kraftfahrer präsentieren. Auf den Widerlagern Parkflächen, zwischen diesen und den Wehrtürmen ein Hotel bzw. eine Tankanlage.(www.berlinka.pcp.pl, mit freundl. Genehmigung von Bartosz Bajkow)
Zeichnung: Grundriss und Längsschnitt der Brücke bei Dirschau („Die Baukunst“ 4. Jahrgang 1941)

In der Literatur über die Geschichte der Autobahnen und Straßen findet man mehrmals das nebenstehende Bild.

Die Unterschriften dazu sind unterschiedlich, z.B. „Fritz Tamms, Turmbau eines Brückenkopfes, Entwurf“ oder „Entwurf für eine Weichsel-Brücke bei Dirschau“. Weitere Angaben fehlen meist.

Mehr findet man in der Zeitschrift „Die Straße“: Ausführlich beschreibt Karl Schächterle im Heft 23/24 (1939), Seiten 649ff in seinem Beitrag „Zur Gestaltung der neuen Weichselbrücken“ den geplanten Bau.

Die Brücke sollte sich im Zuge der Reichsstraße 1 Berlin – Schneidemühl – Marienburg – Königsberg bei Dirschau befinden. Sie sollte knapp 1 km lang werden mit 9 Feldern von 78 bis 142 m Spannweite. Bei 18,6 m Gesamtbreite sollte sie 12 m Fahrbahnbreite (je zwei Fahrstreifen pro Fahrtrichtung ohne Mittelstreifen) und seitliche Rad- und Fußwege erhalten. Zwei wuchtige Wehrtürme waren am westlichen hohen Ufer geplant, dazu Parkplätze mit kleiner Raststätte und Tankstelle.

Dagegen steht im Heft 17/18 (1941), bei einer Zeichnung der Wehrtürme im Bereich des westlichen Widerlagers Seite 283 lediglich „Entwurf für eine RAB-Brücke“.

Die Trasse zur Brücke beginnt von Westen kommend östlich von Czarlin bei der kleinen Gemeinde Kniebau (von 1942 bis 1945 Knieben, heute Knybawa). Die ohne Fahrbahntrennung großzügig angelegte R 1 wurde durch eine Anschlußstelle in Form eines Kleeblattes mit der in Nord-Süd Richtung verlaufenden R 2 verbunden. Bis zur Weichsel finden sich noch einige Unterführungen (A-Bauwerke) mit typischer Klinkerverblendung. Die Trasse verläuft mit diesem überbreiten Querschnitt weiter bis Marienburg – jedoch nicht planfrei.

Gebaut wurde sie 1940/1941 in 18 Monaten entsprechend den Planungen von Tamms mit Stahlüberbau  auf und zwei bis zu 7,00 Meter hohen Vollwandhauptträgern im Abstand von 12,00m. Die 12,00 Meter breite Fahrbahn war zuerst mit direkt befahrenem „Rüttelbeton“ auf Buckelblechen befestigt. Am 8. März 1945 erfolgte die Sprengung durch die Deutsche Wehrmacht, wobei vier Felder zerstört wurden. Der Wiederaufbau begann vermutlich auf Betreiben der Sowjetunion bereits 1946, am 17. Dezember 1950 konnte sie erneut für den Verkehr freigegeben werden. Der Fahrbahnbelag bestand jetzt aus Asphalt.

Die zum Teil verbunkerten mehrstöckigen Fundamente für die beiden Wehrtürme, auf der Westseite (Steilufer der Weichsel), sowie die ähnlichen Anlagen in den  östlichen Widerlager, sind noch erhalten, auch wenn die Wehrtürme nicht gebaut wurden. Die breiten Widerlager auf dem flachen Ostufer sollten keine senkrechte Betonung erhalten.

Fundamentreste eines Wehrturms an der Weichselbrücke Bildrechte: Bartosz Bajków – www.berlinka.pcp.pl
Entwurfszeichnung aus “Die Straße”: Wehrtürme der geplanten Wechselbrücke

Warum sollte diese Brücke gebaut werden? Ein Blick in einen Autoatlas vor 1939 zeigt uns im Großraum Danzig den Verlauf der Reichsstraße 1 (R 1) in nordöstlicher Richtung. Östlich von Schlochau (heute Czluchów) wurde polnisches Gebiet erreicht und kurz vor der Weichsel beim Rittergut Czarlin etwa 3 km südlich von Dirschau (Tczew) mündet die Straße in die Nord-Süd-Straße von Danzig nach Graudenz (Grudziadz). Erst nach einem Umweg durch den Ortskern von Dirschau gelangte man nach Passieren der dortigen engen Weichselbrücke auf Danziger Gebiet; nach weiteren 20 km erreichte der Reisende östlich der Nogat die Marienburg (Malbork) und damit wieder das Gebiet des Deutschen Reiches.

Ist die geplante neue Weichselbrücke überhaupt gebaut worden? Eine Straßenkarte („Durchgangsstraßen“) vom 01.10.1941 zeigt tatsächlich einen durchgehenden Verlauf der R 1 südlich von Dirschau und auch auf heutigen Autokarten ist hier eine Brücke eingezeichnet. In der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur findet man keine Angaben. Wohl aber auf der polnischen Internet-Seite www.berlinka.pcp.pl.

Modellphoto – Die Baukunst, März 1942

Auch die Servicebauten wurden nicht errichtet. Dennoch findet sich heute in diesem Bereich auf der Südwestseite ein neu erstelltes Gasthaus.

Eine Reihe von Fotos aus den Jahren 2001 bis 2003 belegen, dass sich die Brücke in einem guten Zustand befindet, die Fahrbahn ist allerdings nur noch mit einem Fahrstreifen pro Richtung markiert. Widerlager und Pfeiler sind (restauriert) unverändert. Fundamentreste nördlich und südlich des westlichen Widerlagers belegen, dass die beiden Wehrtürme wegen des Krieges nicht über die Fundamente hinaus umgesetzt wurden. Ähnlich ist dies bei der – von der AGAB 2003 besichtigten – Rheinbrücke im Zuge der BAB A 6 nördlich von Mannheim.


Neben dieser für die Reichsstraße 1 errichteten Weichselbrücke südlich von Dirschau  war  eine  weitere – deutlich nördlicher gelegene – Brücke im Zuge der Reichsautobahn Stettin – Danzig –  Elbing (Strecke 55) in der Vorplanung.

Text: Dr. Ing, Wolfgang Seele

Quellen:
„Die Straße“
Der Große Conti Atlas für Kraftfahrer, 18. Aufl.
Polen Autokarte, Państwowe Przedsiębiorst Wowydawnictw Kartograficznych, Warszawa 1974
www.berlinka.pcp.pl – Bild und Grafiken mit freundlicher Genehmigung von Bartosz Bajków
Die Baukunst 4. Jahrgang Januar 1941
Die Baukunst 5. Jahrgang März 1942

Bilder: Dipl. Ing. Alexander Thewalt

Neu in 2016

Kurzbeitrag - Gedenkfeier für tödlich verunglückte StraßenwärterAuch in 2016 fand erneut  am Buß- und Bettag im westfälischen Tungerloh-Capellen an der A 31 die Gedenkfeier des Landesbetriebs Straßen.NRW für seine...

Neu in 2017

A 4   Varianten zum Muldeübergang bei NossenDie Ingenieure orientieren sich mit den Stützweiten und der Hauptträgerhöhe von 5,50 m an der bereits in Planung befindlichen, ebenfalls ca. 70 m hohen, jedoch 100 m kürzeren...

Neu in 2018

39. Treffen in GermersheimNach Besuch der Autobahnmeisterei Seckenheim und einer abwechslungsreichen Rundfahrt auf den geschichtsträchtigen Streßen der Region  vor dem deutschen Straßenmuseum in Germersheim.Weiterlesen…B 15 n  ...